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Aktuelle Meldung

31. August 2016
Dokumentationszentrum Schwerin

Nachruf Hans-Jürgen Jennerjahn 1928 - 2016

Hans-Jürgen Jennerjahn 

ist im Alter von 87 Jahren verstorben. Unsere Gedanken sind bei seiner Frau Gisela und der gesamten Familie.

Du

Sei auch dein Schaffen
noch so reich -
Du bist im Strom
dem Tropfen gleich.
Dich treibt die Flut
von Ort zu Ort -
versiegst du heut...
der Strom fließt fort.
Und du
bist nie gewesen...

(Gedicht von Hans-Jürgen Jennerjahn, Workuta 1952)

 

Nachruf 

In Schwerin als Sohn eines Kaufmanns groß geworden, erlebte Hans-Jürgen Jennerjahn als 16-Jähriger den 2. Weltkrieg noch als Marinehelfer bei der Flak in Kiel. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung stand er der Idee eines „neuen Sozialismus“ ablehnend gegenüber. Er zählte zu den Gründungsmitgliedern der Freien Deutschen Jugend (FDJ) in Schwerin, welche sich zunächst als Plattform einer freiheitlichen deutschen Jugendbewegung verstand. Hans-Jürgen Jennerjahn gelang es, unter dem Dach der FDJ eine Jugendgruppe zu bilden, deren Mitglieder – vorwiegend Oberschüler – sich zu gemeinsamen Freizeitunternehmungen und politischen Diskussionen trafen. Als ihre Aktivitäten immer stärker unter SED-Kontrolle gerieten, trat er 1948 aus der FDJ aus.

Seine eigentliche politische Heimat hatte er da schon in der Liberal-Demokratische Partei (LDP) gefunden. Hans-Jürgen Jennerjahn arbeitete als Kreisjugendreferent der LDP und war einer der letzten noch lebenden Weggefährten des Rostocker Studenten Arno Esch. Nach dessen Verhaftung im Oktober 1949 trat er auch aus der LDP aus. Gemeinsam mit anderen Jugendlichen setze er die politische Arbeit im Untergrund fort. Sie verteilten Flugblättern, die sie von Organisationen in Berlin (West) erhielten, um so öffentlich gegen die Politik der SED zu protestieren.

Am 5. Juli 1950 wurde Hans-Jürgen Jennerjahn mit elf weiteren Jugendlichen, darunter auch seine damalige Verlobte Erika Bludschun, zunächst durch den Staatssicherheitsdienst der DDR verhaftet und später den sowjetischen Behörden ausgeliefert. Nach fast viermonatiger Untersuchungshaft am Schweriner Demmlerplatz wurde er durch das Sowjetische Militärtribunal nach § 58 StGB der RSFSR wegen angeblicher antisowjetischer Propaganda, illegaler Gruppenbildung und Spionage zu 25 Jahren Zwangsarbeit in der damaligen Sowjetunion verurteilt. Hans-Jürgen Jennerjahn wurde  in das berüchtigte Arbeitslager Workuta nördlich des Polarkreises deportiert, seine Verlobte in den Fernen Osten nach Taischet. Unter schwersten, menschenunwürdigen Bedingungen musste Hans-Jürgen Jennerjahn dort zunächst im Wohnungsbau und später im Steinkohlebergbau Zwangsarbeit leisten. Er glaubte nicht mehr daran, jemals wieder nach Hause zu kommen. 

1955 trat für ihn das fast Unerwartete ein: Er wurde nach Hause entlassen. In der DDR konnte und wollte Hans-Jürgen Jennerjahn nicht bleiben. Er floh über West-Berlin nach Hamburg. Dort nahm er nochmals eine Ausbildung zum Steuerinspektor auf und arbeitete beim Finanzamt Hamburg. Nach seiner Pensionierung zog er in das Wendland. Seiner Heimat Mecklenburg blieb er stets treu verbunden; ob als Landesvorsitzender der Landsmannschaft Mecklenburg oder als Gründer des Hamburger Kulturkreises „Mecklenburg“. Gleichsam engagierte er sich im Heimkehrerverband und bis zu seinem Tod  in der Lagergemeinschaft Workuta/GULag.

Mit großer Verbundenheit und Unterstützung begleitete Hans-Jürgen Jennerjahn nach 1990 die Geschichtsaufarbeitung sowohl der Landesbeauftragten für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR als auch der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern beim Aufbau des Dokumentationszentrums am Demmlerplatz/Schwerin. 

Die Erinnerungen und Zeugnisse von Hans-Jürgen Jennerjahn an die Haftzeit sind in der Dauerausstellung festgehalten. Über viele Jahre sprach er hier in zahlreichen Zeitzeugengesprächen warmherzig, ohne Bitternis und doch voller Trauer vor Schülern, Lehrern, vor Soldaten der Bundeswehr und anderen Besuchergruppen über das nach 1945 geschehene Unrecht. Wir würdigen das Wirken von Hans-Jürgen Jennerjahn als einen beeindruckenden Beitrag zur Aufklärung der Nachkriegsgeschichte, der DDR-Vergangenheit und somit zur Aufarbeitung der kommunistischen Gewaltherrschaft. Es hinterlässt tiefe Spuren im Dokumentationszentrum für die Opfer der Diktaturen in Deutschland, dem er bis zu seinem Tod eng verbunden war. 

46 Jahre nach dem Urteilsspruch durch ein Sowjetisches Militärtribunal erhielt Hans-Jürgen Jennerjahn seine Rehabilitierung durch die russische Militärhauptstaatsanwaltschaft. Da war er fast 70 Jahre alt.

In stillem Gedenken, mit großem Dank und voller Hochachtung.

 

<link http: www.svz.de regionales mecklenburg-vorpommern ich-dachte-ich-komme-da-nie-mehr-raus-id13882716.html external-link-new-window internal link in current>Interview vom 4. Juni 2016 in der SVZ am Rande des Treffens der Lagergemeinschaft Workuta/GULag in Schwerin.


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